Rée de Smit ist Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin und lehrt an
der Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg. Anfang der 90 er Jahre
begann sie, Tanzprojekte in unterschiedlichsten sozialen Kontexten
durchzuführen und entwickelte hierfür das Modell EchoRaum als Ort der
künstlerischen Begegnung, der Forschung und dialogischen
Zusammenarbeit.
Nach ihrer Ausbildung als Tänzerin und Choreographin an der Sigurd Leeder
School of Dance Schweiz, studierte sie bei Maurice Béjart an der Mudra
Bruxelles und an der Schauspielakademie Zürich (ZHdK). Als Tänzerin und
Choreographin war sie im Tanz Studio an der Folkwang Hochschule (FTS),
am Schauspielhaus Zürich, in Filmproduktionen und diversen freien Tanz-
und Theaterensembles engagiert.
Seit jeher verfolgt sie in ihrer Arbeit eine tänzerische Praxis, die
verwandlungsfähig und offen genug ist, um Begegnungen zwischen
unterschiedlichen Kulturen, Individuen und sozialen Milieus zu provozieren
und zu ermöglichen.
Vita
Die Faszination, die Echos auf mich ausüben, geht auf ein frühes
Kindheitserlebnis zurück.
Mein Vater war nicht nur in seinem Beruf, sondern auch in seiner Freizeit
ein Forscher aus Leidenschaft. So untersuchte er beispielsweise, wann
immer sich die Gelegenheit bot, Orte auf ihr Echo hin. Noch heute höre ich
seine Jauchzer, die er gegen Felswände aussandte, in Höhlen und
Schluchten ausprobierte oder in den Wald hineinrief. Und noch heute sehe
ich ihn vor mir, wie er jedes Mal gebannt und mit inniger Konzentration
dem Echo lauschte, das seiner Stimme Antwort gab.
Er rief diese Echos mit einer Energie und Inbrunst hervor, als wäre er auf
der Suche nach dem besten der Echos aller Zeiten.
Einmal, als wir zusammen im Gebirge unterwegs waren, bot sich uns nach
einer Wegbiegung überraschend ein atemberaubender Blick auf die Berge
ringsum, die hoch ins klare Blau des Himmels ragten. Zwei Bergketten
liefen in der Ferne spitzwinklig zusammen. Dazwischen ein Abgrund,
dessen Tiefe sich im Dunst verlor.
Bezaubert vom Ausblick dieses Ortes und zugleich in der Vorfreude auf die
Echos, die er erwarten ließ, begann mein Vater zu rufen, oder genauer: er
begann zu singen, Fragmente aus Liedern, die er in unterschiedlichen
Tonlagen erprobte. Die Echos, die sogleich ertönten, waren überwältigend
und sie begannen sich mit der Gesangsstimme zu einem komplexen
Klanggebilde auszuformen. Dabei veränderten sich die Klänge fortwährend,
die Zeitabstände überschlugen sich, verstummte Echos begannen
überraschend wieder aus der Ferne zurückzuklingen, wurden schärfer,
deutlicher, die Klänge vermischten sich mit den Worten, verwandelten sich
unentwegt.
Als Kind war es für mich, als hätten die Rufe unsichtbare Wesen dort in den
Bergen geweckt, die nun ihre Echos wie Bälle hin und her warfen und die in
diesem Spiel miteinander wetteiferten, wer von ihnen die
außergewöhnlichsten, verblüffendsten, fantastischsten Klangfarben
hervorzaubern könnte. Die Klänge wanderten, perlten, stürzten oder
stiegen durch den Raum, kamen bald von links, bald von rechts, wurden
lauter und leiser, entfernten sich und kamen wieder ganz nahe. Und wir
mischten uns mit unseren Stimmen ein in dieses Spiel und ich hatte als
Kind den Eindruck, wir veranstalteten ein Echokonzert mit den
Unsichtbaren.
Rée de Smit
Echo der Kindheit